Die Job Hunting GmbH ist eine renommierte Personalvermittlungsgesellschaft mit mittlerweile 50 Büros im gesamten deutschsprachigen Raum. Im Gegensatz zu vielen anderen Unternehmen hat sich Job Hunting nicht auf ein Klientel oder eine Branche festgelegt. Um ihre Dienstleistung zu gewährleisten werden neben Recherchen auch elektronische Analysen der erfassten Daten der Stellensuchenden durchgeführt. Die Daten werden entweder manuell auf Grundlage von Bewerbungen und geführten Bewerbungsgesprächen erfasst oder sie gelangen direkt durch das Internet-basierte Bewerbungsportal in das System.
Nach längerer Arbeitslosigkeit in Folge der Rezession wurde Jens, ein erfahrener Softwarearchitekt, vor kurzem in der Informatikabteilung angestellt und ist nun zuständig für das Bewerbungsportal, das komplett überarbeitet werden soll.
Jens‘ Vorgänger ist auf Grund eines Burnouts kurzfristig ausgeschieden und Jens ist noch damit beschäftigt, sich in die schlecht dokumentierte Software einzuarbeiten und die Anforderungen für eine Verbesserung zu überprüfen.
Jens stellt erstaunt fest, dass die Bewerber sowohl online als auch auf den schriftlichen Bewerbungsunterlagen automatisch einer Speicherung ihrer Daten für 5 Jahre zustimmen, sofern Sie nicht eine, sehr leicht zu übersehende, Widerspruchsregelung unterzeichnen. Er findet dies bedenklich. Die Informationen der Bewerber werden stark strukturiert abgelegt und numerisch bewertet; wobei auch Ausbildungsfirmen, Ausbildungsinstitute und Hochschulen eine Punktzahl erhalten. Es ist nicht klar, wie diese Punkte zustande kommen. Bei den Hochschulen fließen auch umstrittene Rankings in die Bewertung ein. Die Bewertung von Firmen und Institutionen ist vollkommen intransparent. Ein simpler Korrekturalgorithmus wird eingesetzt, um auf Grund der Rückmeldungen von Betrieben, welche Bewerber eingestellt haben, die Firmenbewertungen anzupassen. Für jede Negativbewertung wird der Punktestand um 3% nach unten, für jede Positivbewertung um 3% nach oben korrigiert. Die Anpassungen erfolgen in Einzelschritten basierend auf den eingegebenen Bewertungen ohne das Feedback zu überprüfen.
Qualifikationen, welche nicht in die vorgegebene Struktur der Datenbank passen, sowie Qualifikationen, die an nicht bekannten Hochschulen, Firmen oder Institutionen erworben wurden (hier vornehmlich im Ausland) werden einfach ignoriert. Das Portal, welches den Benutzern die Möglichkeit lässt, in Textfeldern diverse Zusatzqualifikationen und zusätzliche Informationen anzugeben, vermittelt den Bewerbern dagegen einen anderen Eindruck.
Die abschließenden Rankings der in Frage kommenden Bewerber werden einfach basierend auf der Gesamtsumme der Punkte eines Bewerbers erstellt.
Jens studiert die skizzierten neuen Anforderungen, die im nächsten Quartal umgesetzt werden sollen. Er soll eine soziale Suchmaschine einbinden, um auch Informationen in den Bewertungsprozess einfließen zu lassen, die sich in den einschlägigen Social Networks finden. Basierend auf Schlagworten in Postings der Bewerber oder über die Bewerber sollen positive bzw. negative Werte ohne weitere Prüfung vergeben werden. Das Ergebnis soll summarisch zusammen mit den Profilen gespeichert werden.
Jens sitzt lange an seinem Schreibtisch und überlegt. Er hatte endlich einen passenden Job gefunden, aber das Bewerbungsportal sowie die neuen Pläne werfen viele Fragen auf. Wie soll er vorgehen? Soll er die Probleme ansprechen? Auf die Anwendung komplexerer (und vielleicht genauerer) Verfahren zu sprechen kommen? Soll er sich erkundigen, ob die Verwendung der Daten in dieser Form rechtens ist? Andererseits sind Unternehmen und Bewerber nicht gezwungen, sich an Job Hunting zu wenden. Sieht er die Sache vielleicht etwas zu schwarz?
Fragen
- Ist es legitim, dass Daten erfasst werden, die intransparent aus einem Gespräch „extrahiert“ werden?
- Darf man in einer Eingabemaske vorgaukeln, dass die Angabe vieler Daten sich positiv auf eine Anwendung auswirkt? Oder sollte nur erfasst werden, was wirklich Auswirkungen auf die verwendeten Algorithmen hat?
- Muss der Nutzer über den Bewertungsalgorithmus aufgeklärt werden? Wenn ja, umfasst dies auch die Feedback-Mechanismen, auf die er keinen Einfluss hat?
- Ist es legitim, Daten Dritter (Hochschulrankings oder Social Networks) zusammenzuführen? Ist es überhaupt ethisch vertretbar, solche Daten unklaren Ursprungs in ein Gesamtprodukt zu überführen, welches sich nach außen hin als korrekt arbeitend darstellt?
- Sind aggregierte Datensätze, deren Herkunft und Zusammensetzung unklar sind, überhaupt für die Entscheidungsfindung nutzbar? Wer trägt die Verantwortung bei Fehlentscheidungen? Dies ist insbesondere interessant, da die Fehler durch alle Beteiligten (auch die, deren Datenbestände nur abgeschöpft werden) hervorgerufen werden können.
- Computer stellen für viele Anwender eine objektive Instanz dar. Betrügt Job Hunting hier nicht auch seine Kunden, da es vorgibt, den „perfekten“ Bewerber zu finden?
- Liegt es in der Verantwortung von Job Hunting, Bewerber und Betriebe über den verwendeten Algorithmus aufzuklären? Oder fällt dies in die Sorgfaltspflicht der Bewerber und Betriebe?
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