In zahlreichen netzpolitischen Konferenzen, Dialogen und Diskussionen wird derzeit die Thematik „neue Regeln für den Cyberspace“ angegangen. Es geht dort den Umgang mit Beleidigung, Immaterialgüterrechten bis hin zum „Cyberkrieg im Netz“. Dabei zeugt die Begriffswahl „Cyberspace“ von grundsätzlichem Unverständnis der Materie und sie erschwert fruchtbare Debatten sogar noch.
Der Begriff „Cyberspace“ tauchte erstmals in den 1980er Jahren in der Science-Fiction-Literatur auf und wurde in den 1990ern – zur Zeit der Kommerzialisierung des Internet – auch darüber hinaus geläufig. Gemeint war immer ein von der echten Welt verschiedener, virtueller Raum, in dem andere Regeln galten. Mit Peter Steiner gesprochen: „On the internet, nobody knows you’re a dog“. Nun, zwanzig Jahre danach, bemerken wir jedoch, dass es diese zweite Welt gar nicht gibt, sondern dass das Digitale einfach Teil unserer normalen Welt wurde. Niemand ist mehr „online“ oder „offline“, weil auch unsere mobilen Geräte nun per default verbunden, ja ohne Netzverbindung teilweise völlig nutzlos sind. Weder die elektronisch übermittelte Steuererklärung noch die digitalen Videoüberwachungssysteme oder soziale Netzwerke sind auch nur ansatzweise virtuell. Es geht immer um reale Aktion und reale Konsequenz. Menschen werden wegen ihrer Äußerungen in sozialen Netzwerken auf echte „No-Fly“-Listen gesetzt; Personen bekommen echte Hausdurchsuchungen, weil sie bestimmte Daten veröffentlicht haben; wenn wir online etwas bestellen, kommt es tatsächlich zu uns in den Briefkasten; neue Autos sind immer mit dem Netz verbunden und das Internet bringt uns Filme, Telefon und Fernsehen ins Haus. Auch die Kommunikationsinfrastruktur selbst ist keineswegs virtuell: Router, Kabel, Netzknoten, Server – die Komponenten des Internet sind physisch existent und territorial verortbar. Von einem rechts- und regierungsfreien „Cyberspace“ kann also keine Rede sein, denn niemand lebt, arbeitet, kommuniziert oder leidet in diesem Cyberspace.
Wir stehen ohne Zweifel vor riesigen Herausforderungen, die Digitalisierung der Gesellschaft vernünftig zu gestalten, vorhandene Regelungen der vordigitalen Zeit zu aktualisieren und nötigenfalls zu erweitern. Aber Beleidigung, Erpressung, Datenklau und Spionage finden nicht im „Cyberspace“ statt, sondern sie werden von realen Tätern an realen Opfern begangen. Zuletzt muss darauf hingewiesen werden, dass in der öffentlichen Debatte meist nur dann von „Cyber-“ gesprochen wird, wenn es um undefinierte Gefahren geht (Cyberkriminalität, Cyberabwehrzentrum, Cyberkrieg). Positiv spricht man dagegen von der „digitalen Agenda“, „Onlinehandel“, „Internet Governance“ oder „e-government“, denn da geht es um spezifische informationstechnische Aspekte unserer echten vernetzten Welt, nicht um ein (fernes) Land. Insgesamt ergibt sich, dass die Cyberspacemetapher nicht hilfreich ist, wenn man über konkrete Gestaltung sprechen will – ganz im Gegenteil, denn sie blendet reale Machtverhältnisse aus und verhindert so Chancen echter Veränderung.
Folglich gilt es, den Fokus auf die prägenden Akteure zu richten und darauf, welche Regeln sie befolgen. Wenn mächtige Geheimdienste ganz genau wissen, wo sich jedes ans Internet angeschlossene Gerät befindet und zu welcher Person es gehört, so ist das politisch gewollt und kein Versehen. Wenn globale Konzerne Daten global verknüpfen, so ist das oftmals rechtlich erlaubt oder wird bewusst nicht geahndet. Wenn westliche Hersteller Überwachungssoftware an beliebige Drittstaaten liefern, so geschieht das vielfach nicht ungeregelt, sondern von Exportgesetzen gedeckt. Die aktuelle Situation entstand folglich nicht aus zufälliger „Wildwest“-Regellosigkeit, sondern aus den durchgesetzten, handfesten Interessen der jeweiligen Profiteure, egal ob es um Kriegsaktivitäten oder Datenhandel geht. Möchte man also ernsthaft über die Gestaltung der digitalen Welt nachdenken, muss man über Interessen und Macht sprechen, nicht über den „Cyberspace“ der 1980er.
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