Manchmal passieren Fälle, die man sich gar nicht ausdenken kann. Dieser Fall aus den USA behandelt eine Schule, die ihren Schülern nachspioniert hat:
Der kanadische Journalist Cory Doctorow (der Autor von „Little Brother – Freiheit ist etwas, was du dir nehmen musst“) berichtet über den Lower Merion School District im US-Bundesstaat Pennsylvania. Sie haben für ihre über 2300 Schüler und Schülerinnen in diesem reichen Vorort von Philadelphia in den Klassen neun bis zwölf Laptops zur Verfügung gestellt. Für Schüler, welche die Versicherungsgebühren nicht zahlen können, gibt es Leihgeräte zum Gebrauch in der Schule.
Es ist nicht einfach, so viele Laptops auf den neuesten Stand zu halten und aufzupassen, dass keine geklaute Software darauf installiert wird. Sie haben daher das (inzwischen in Active Manager umbenannte) Produkt LANrev installiert, das außerdem mit dem sog. „Theft Protect“ ausgestattet war. Damit konnte die iSight-Kamera in dem Mac-Laptop aktiviert werden, ohne dass das Aktivierungslämpchen leuchtet (eine technische Diskussion findet man hier).
Ein Techniker der Schule hat in ein Mac-Forum erklärt, wie es geht, die Kameras auszuschalten. Es ist dort ein längere Diskussion entstanden über „paranoide“ Leute, die ihre Kameras mit Klebezettel abdecken sowie über Diebstahl. Es gibt auch einen Webcast von MacEnterprise, wo dieser Schultechniker groß angibt, wie das funktioniert.
„Es ist eine fantastische Eigenschaft“, sagt der Techniker. „Ich kann es nicht hoch genug loben.“
Dann kam der Tag, an den die Vizerektorin einen 15-jährigen Schüler getadelt hat, weil er zu Hause Drogen genommen hatte, wie der Lokalzeitung Philadelphia Enquirer berichtet. Als Beweis des Fehlverhaltens wurde ein Foto gezeigt, das vom Laptop aus aufgenommen wurde. Das Foto wurde gemacht, als versucht wurde, diesen Rechner zu orten, weil der Schüler angeblich ohne Erlaubnis ein Leihgerät mitgenommen hatte.
Der Schüler sagte aber, dass er nur eine Süßigkeit gegessen hatte, die aber durchaus genauso wie Tabletten aussähe: Mike & Ike. Und er hatte jeden Tag des letzten Monats diesen Rechner mit nach Hause nehmen dürfen, keiner hatte etwas gesagt. Seine Eltern gerieten in Rage, als sie erfuhren, dass bereits mehrfach (44 Mal) im laufenden Jahr Bilder aufgenommen worden sind, obwohl die Eltern nicht informiert waren, dass so etwas möglich war. Sie haben in einer Sammelklage die Schule auf Unterlassung verklagt. Nebenbei sei bemerkt, dass 18 Mal ein geklauter Rechner wiedergefunden wurde.
Jetzt sind verschiedene Behörden aktiv geworden, auch auf US-Bundesebene. Und die Schule hat selber eine Untersuchung begonnen und sich bei den Eltern entschuldigt.
Durch das Publikmachen sind aber weitere Details bekanntgeworden. Schülervertreter hatten bereits vor einem Jahr die Sorge geäußert, dass ihre Laptops durchsucht werden könnten, darauf hat die Schule nicht reagiert. Und es wurde klar, dass diese Funktionalität von der Schule aus aktiviert werden muss. Es ist also nicht „per default“ angeschaltet.
Andere Schüler empfanden überhaupt kein Problem beider Überwachung, sie fanden es nur problematisch, dass sie darüber nicht informiert worden waren. Schließlich bietet die Technologie eine Möglichkeit, mit Steuergeldern angeschaffte Gegenstände wiederzubeschaffen.
(Weitere detaillierte Informationen: Wikipedia – Techrepublic)
Fragen:
- Unabhängig von der Rechtslage, was für eine Erwartung an der Privatsphäre kann man haben? Ist diese Erwartung vom Alter unabhängig?
- Ändert sich der Lage, wenn es Tatsache wäre, dass der Schüler den Laptop ohne Erlaubnis vom Schulgelände entfernt hat? Hat die Schule dann nicht das Recht, der Rechner zu orten?
- Die Schüler mussten unterschreiben, dass sie die Laptops nur für die Schule nutzen würden, nicht für private E-Mails oder andere Zwecke. Hat also nicht auch in diesem Fall die Schule das Recht, zu beobachten, was mit den Rechnern passiert?
- Wenn man nicht gegen die Regeln verstößt, hat man dann nichts zu befürchten, da ja die Beobachtung nur genutzt wird, wenn es darum geht, ein Regelverstoß aufzuklären? Warum sollte es hier ein Problem geben?
- Da es sich in den USA abspielt, muss man nicht eigentlich annehmen, dass die Schule nur verklagt wird in der Hoffnung, dass ein hoher Schadenersatz dabei herausspringt? Darf man als Einzelne eine Sammelklage einreichen, ohne alle Beteiligten zu fragen, ob sie dabei sein wollen?
- Sollte die Schule verlieren, würde die Schadenersatzzahlung vom Steuerzahler getragen werden müssen. Gibt es nicht einen anderen Weg, in diesem Fall eine Lösung zu finden?
- Ist es ein Problem, dass die Schülervertreter nicht Alarm geschlagen haben, als ihre Bedenken nicht ausgeräumt wurden?
- Sollte man die Privatrechner derjenigen Leute durchsuchen, die diese Kameras aktivieren konnten, um zu sehen, ob sie Bilder von sich entkleidenden Kindern gespeichert haben?
- Wäre die Situation anders, wenn es sich um Erwachsene handeln würde, die einen Firmenlaptop mit nach Hause genommen haben?
- Die Vizerektorin wird in den Berichten auch namentlich erwähnt. Ist das ein Problem? Sie hat ja nur ihren Job gemacht.
- Gibt es ethische Bedenken, Süßigkeiten in Form von Tabletten anzufertigen?
Das wird teuer: die Schule ist verurteilt worden: http://www.golem.de/1008/77592.html