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Fallbeispiel: Plagiatssoftware-Opfer

Constanze Kurz & Stefan Ulrich (ohne Autorenvermerk erschienen)

Professorin Claudia Wolke kommt gutgelaunt aus der Prüfungskommissionssitzung zurück. Der von ihr eingebrachte Vorschlag zum Einsatz einer Plagiatserkennungssoftware war ein voller Erfolg, der Anbieter hatte nicht zuviel versprochen. Die sich häufenden Fälle von plagiierten Arbeiten an der Universität und nicht zuletzt die öffentliche Diskussion um prominente Fälle wissenschaftlichen Fehlverhaltens hatten das Gremium umgestimmt. Einmütig beschloss die Runde, das Softwareprodukt nun routinemäßig einzusetzen.

Professorin Wolke selbst setzt die Software »PlagParser« nun schon seit vier Semestern ein. Seitdem sind die eingereichten Plagiate deutlich zurückgegangen. Auf den Fachschaftsseiten wird ausdrücklich vor dem Einreichen einer kopierten Arbeit bei dieser Dozentin gewarnt.

Das Praktische an der Software ist der vollständige Automatismus. Professorin Wolke muss die Arbeit nicht selbst durch die Software »jagen«, da sie ein Teil des Studentenportals ist. Die Studenten reichen dort die Arbeiten in einem uniweit eingesetzten System ein. PlagParser überprüft sie automatisch auf verdächtige Stellen und verschickt gegebenenfalls selbständig eine E-Mail mit den Ergebnissen an den jeweiligen Dozenten. Falls kein Plagiat von der Software erkannt worden ist, wird die Arbeit zur weiteren Bewertung dem Dozenten vorgelegt, der innerhalb des Systems die »Credit Points« für die Studenten vergeben kann.

Felix erreicht kurz vor der Prüfungsphase am Ende des Semesters eine unangenehme E-Mail. Er hatte ein Seminar bei Professorin Wolke besucht und vor drei Wochen seine Hausarbeit abgegeben. Die E-Mail von ihr ist knapp gehalten und besteht aus nur vier Sätzen: »Die von Ihnen eingereichte Seminararbeit wurde von unserer Erkennungssoftware ›PlagParser‹ als Plagiat erkannt. Eine eigenständige Leistung für das Seminar ist damit nicht erbracht worden, einen Schein kann ich Ihnen daher nicht ausstellen. Sie können diesen Kurs leider nicht erneut besuchen. Diese E-Mail geht in Kopie an den Prüfungsausschuss.«

Felix ist am Boden zerstört, dieser Kurs war der letzte, der ihm noch zum Abschluss des Bachelor-Studiums fehlte. Er glaubt zunächst an eine Verwechslung, denn die Frage, ob er ein Plagiat abgegeben haben könnte, stellt sich ihm gar nicht. Er hatte die Arbeit schließlich geschrieben. Das Seminar der Professorin hatte Felix ohnehin nicht viel Freude gemacht, er hatte kein gutes Verhältnis zu ihr aufbauen können. Daher beschließt er, auf die E-Mail gar nicht zu reagieren. Der Streit mit der Professorin ist ihm zu mühselig, er ärgert sich zwar, belegt jedoch lieber einen Kurs bei einem anderen Seminarleiter.

Professorin Wolke stellt einige Zeit später die Software im Kollegenkreis vor. Die Kollegen, die sie bisher nicht nutzen, sollen so einen guten Überblick über die Bewertungen bekommen. Sie wählt dazu zufällig ein paar Arbeiten aus, sowohl solche, die als Plagiat erkannt wurden, als auch als einwandfrei gekennzeichnete Texte. Bei der Live-Demonstration wird die Seminararbeit von Felix plötzlich als plagiatsfrei (Kategorie AAA: Alles Astrein Ausgearbeitet) eingestuft. Professorin Wolke ist irritiert, sie hatte der Software vertraut und dem Studenten aufgrund des Ergebnisses keinen Seminarschein ausgestellt.

Im Anschluss an ihre Präsentation sieht sie sich den Text und die Software-Bewertung genauer an. Es stellt sich heraus, dass eine frühere Version der Software die französischen Anführungszeichen in der Seminararbeit nicht als solche erkannt und daher alle Zitate fälschlicherweise als plagiierte Stellen gezählt hatte. Dieser Fehler wurde mittlerweile behoben, erklärt Professorin Wolke ihren Kollegen. Die Anwesenden verlassen den Sitzungsraum dennoch mit einem unguten Gefühl. Am Einsatz der Software möchte die Universitätsleitung jedoch weiterhin festhalten, zumal jeder Seminarleiter im Einzelfall entscheiden kann, in welchem Maße er der Software vertraut.

Fragen

  • Welche ethischen Probleme sehen Sie beim automatisierten Einsatz von Plagiatserkennungssoftware?
  • Ist es auch ein ethisches Problem, dass zumindest frühere Versionen der Software technisch unzureichend waren, aber entscheidend die Scheinvergabe beeinflussten?
  • Besteht ein Unterschied darin, ob die Professorin eigenhändig prüft, ob die Standards wissenschaftlichen Arbeitens erfüllt wurden, oder dies mit Hilfe der Software teilautomatisiert?
  • Wer ist für den Schaden verantwortlich, wenn Felix aufgrund der fälschlichen Ausgabe der Software Nachteile (Zeitverzug) in seinem Studium enstanden sind?
  • Hat Professorin Wolke die Pflicht zu handeln, als sie entdeckt, dass die Software in älteren Versionen strukturelle Fehler aufweist? Muss sie ältere Seminararbeiten nun erneut prüfen?
  • Gesetzt den Fall, Professorin Wolke überprüft alte Seminararbeiten erneut – wie muss sie reagieren, wenn sie eine plagiierte Arbeit vorfindet, die sie damals jedoch als eigenständige Leistung akzeptiert hat?
  • Ist der so beschriebene Automatismus als Generalverdacht zu werten? Wenn ja, ist er ethisch vertretbar?
  • Ist die Benutzung einer solchen Software angesichts der Zunahme von Plagiaten moralisch gar geboten?
  • Hätte die Universitätsleitung den Einsatz kritischer prüfen müssen? Ist es vertretbar, die Verantwortung für eventuell fehlerhafte Bewertungen durch die Software an die Seminarleiter abzugeben?

Erschienen in Informatik Spektrum 35(1), 2012, S. 61–62

7 comments to Fallbeispiel: Plagiatssoftware-Opfer

  • Ich kann gut verstehen, dass Professoren diese Tools einsetzen und habe da auch kein Problem mit. Aber auf jeden Fall sollten eventuelle Fünde händisch verifiziert werden. Ein Blick auf die ersten 10 Fundstellen im Original hätte den Fall Felix verhindern können. Software ist immer nur ein Werkzeug um zu Unterstützen. Was ich mich bei diesem Szenario frage: Wenn die genannte Professorin die Arbeit nicht gelesen hat (sonst hätte ihr auf müssen, dass das Resultat von PlagParser nicht stimmt), wie soll dann sicher gestellt werden, dass die Hausarbeit thematisch korrekt ist?

  • Philipp

    Bitte entschuldigen Sie meinen Sarkasmus, aber das muss jetzt endlich mal raus:
    Richtig innovativ und fair den ehrlichen Autoren gegenüber wäre es, seinen Job zu machen und die eingereichten Arbeiten zu lesen. Punkt.

    So wäre der berühmte Fall in Bayreuth nicht passiert. So wäre auch der hier beschriebene Fall vermieden worden.

    Ein PlagParser wäre eine super Sache. Wie die meiste Technik sollte er aber nicht alleine gelassen werden, sondern unterstützen. Und wie immer bei Technik: Die Ergebnisse müssen vom gesunden Menschenverstand hinterfragt und geprüft werden. Das ist eher eine Frage der Technik-Kompetenz, Intelligenz und Lebenserfahrung als eine Frage der Ethik.

  • Name

    Grundsätzlich haben Professoren die Pflicht, eingereichte Arbeiten sorgfältig zu prüfen. Zur Unterstützung der Prüfung ist es richtig und sinnvoll, eine Software wie die hier beschriebene einzusetzen. Aber schon der gesunde Mesnchenverstand gebietet, dass eine solche Software sowohl false-positives als auch false-negatives liefern wird.
    Entsprechend ist die Professorin in der Pflicht, als Plagiat erkannte Arbeiten zu prüfen und die entsprechenden Stellen nachzuschlagen, wie auch schon gesagt wurde. Auch als einwandfrei eingestufte Arbeiten sind beim Durchlesen und bewerten zu prüfen, etwa bei Formulierungen, die nicht zum Rest des Textes passen etc.
    Die Software eine eine gute Unterstützung, kann aber, wie auch schon der gesunde Menschenverstand gebietet, nicht als alleinige Prüfmaßnahme eingesetzt werden. Darüber besteht hier ja auch Konsens.

    Unabhängig von der Software hat jeder professor Prüfungspflichten. Wie genau er Arbeiten prüft, soll dem Professor überlassen sein, solange er dies mit der gebotenen Sorgfalt tut.

  • Werner Schmidt

    Abgesehen davon, dass bei solchen Entscheidungen das abschließende Urteil von einem Kopf mit Hirn zu treffen ist, ist mir unverständlich, warum gerade im Rahmen einer Ausbildung dem Kandidaten das Ergebnis dieser automatisierten Vorabprüfung nicht detailliert „Fall für Fall“ (wenigstens nach einem Klick) zur Verfügung gestellt wird. Das beliebte Argument „Datenschutz“ zieht hier nicht, denn personenbezogene Daten eines Dritten – etwa des Prüfers, der die Arbeit bis dahin nicht gelesen hat – kommen in diesem Stadium des Verfahrens nicht vor. Vielmehr hätte der Kandidat einen gesetzlichen Auskunftsanspruch, wenn Angaben über die einzelnen Plagiatsvermutungen gespeichert wären.

    Bei einer vernünftigen organisatorischen Einbettung halte ich eine automatisierte Prüfung der so prüfbaren Sachverhalte für akzeptabel. Der zu vermutende Generalverdacht entspricht der üblichen Unsicherheit darüber, ob der Kandidat die Anforderungen der Teilprüfung erfüllt hat.

    Verantwortlich für eventuelle Schäden sind die Personen, die für die fehlerhafte Einbettung verantwortlich sind. Die Nachprüfung eventuell fehlerhafter älterer Entscheidung sollte von Amts wegen erfolgen. Wenn Felix mein Sohn wäre, würde ich ihm anbieten, die Kosten einer angemesen Rechtsverfolgung zu übernehmen.

    Wenn in der wirklichen Welt so mit Studenten umgegangen würde, müssten sich alle Beteiligten fragen, ob und gegebenenfalls was sie sich dabei gedacht haben.

  • Metavisorin

    Hallo, ich arbeite als Korrektorin studentischer Arbeiten und habe einige Dissertationen durch eine im Internet gelobte Plagiatssoftware prüfen lassen. Obwohl die Arbeiten keine Plagiate enthielten, gab die Software eine ziemlich hohe Anzahl Plagiate an und leuchtete im roten Plagiats-Alarmbereich. Die Gründe: In den medizinischen Doktorarbeiten gab es eine hohe Anzahl von Fachbegriffen, z.B. Krankheiten mit speziellen Diagnosen, die üblicherweise als eine bestimmte Kombination von Begriffen verwendet werden, also so etwas wie „Diabetes Mellitus (mit einer spezifischen Ausprägung xy) oder „chronisch erhöhtem Blutzucker“ und so weiter.
    Solche Teilsätze, die die üblichen Krankheitsdiagnosen, die Wissenschaftler oder Ärzte eben so und nicht anders bezeichnen, wurden als Plagiate eingestuft. Nun kann und soll aber der Doktorand da nicht jedesmal unübliche Synonyme für diese allgemein gebräuchlichen fachlichen Wendungen finden und einsetzen! Kein Professor würde das im medizinischen Bereich durchgehen lassen.
    Der nächste Grund: Im Text gab es viele Erwähnungen von Literatur oder Titeln von Forschungsberichten, Namen von Forschern mit Berufsbezeichnung und Ähnliches. Die standen natürlich nicht in Zitatanführungsstrichen, weil es Bestandteile des normalen Haupttextes waren. Das wurde dann auch als Plagiate gezählt. Das Plagiatsergebnis führt in solchen Fällen zu großer Panik des Doktoranden und Studenten, obwohl derjenige einwandfrei gearbeitet hat. Deshalb müssen solche Plagiatsprüfberichte ausführlich nochmal durch den gesunden Menschenverstand erkannt und erläutert werden. Sonst gibt es in solchen Fällen falsche Verdächtigungen. Ich habe eine Uni-Betreuerin einer medizinishcen Doktorarbeit erlebt, die sofort auf gemeine Weise Plagiatsvorwürfe gegen ihre Doktorandin erhoben hat, welche bei genauem Hinsehen (s.o.) völlig haltlos waren. Ja, so bringt die Wahrheitssuche auch Probleme mit sich; und keine Plagiatsprüfung kann stichhaltige Ergebnisse liefern ohne nochmaliges genaues Bewerten des Prüfergebnisses durch einen klugen Menschen!

  • Debora Weber-Wulff

    Die Plagiatssoftware, die offen im Netz angeboten wird, taugt in der Regel gar nichts. Aber schauen Sie hier mal eine medizinische Arbeit an (http://de.vroniplag.wikia.com/wiki/Benutzer:WiseWoman/Berichte/Nk), wo die Universität gesagt hat: das geht in Ordnung. Das ist nicht einzelne Wörter – das ist okay sie zu benutzen. Aber wenn die Übernahme über Seiten geht ohne Quellenangabe, ist das nicht okay. Es ist ganz einfach: stammt der Text oder die Daten von Ihnen, braucht man nichts anzugeben. Alles andere muss ausgezeichnet werden und referenziert werden.

  • […] 2012 – Fallbeispiel: Plagiatssoftware-Opfer, C. Kurz / S. […]

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